Gefahr von Todesfällen durch die Atypische Weidekrankheit

Das Blatt vom Berg-Ahorn ist fünflappig, stumpf gesägt bis 16 cm lang und dunkelgrün. Die Herbstfärbung der Blätter ist gelb-orange. Die geflügelten Samen sind paarweise und spitzwinklig angeordnet.

In Sachsen und Thüringen treten immer wieder Fälle der sogenannten Atypischen Weidekrankheit auf. Die Atypische Weidekrankheit oder kürzer Atypische Myopathie (AM) ist eine erworbene, toxisch bedingte Störung des Muskelstoffwechsels bei Weidepferden in Europa und Nordamerika.

Auftreten der Erkrankung

Die AM steht im Zusammenhang mit jahreszeitlichen und den entsprechenden klimatischen Veränderungen. So tritt diese Erkrankung überwiegend im Herbst von Oktober bis Dezember und im darauffolgenden Frühjahr von März bis Mai auf. Insbesondere nach wärmeren Tagen mit einem nächtlichen Temperaturabfall bis um den Gefrierpunkt erstmals im Herbst erkranken Pferde an AM. Auch nach anderen Stresssituationen wie Weideumstellung, Training, Transport oder Narkosen sind Fälle beschrieben.

Neben einzelnen älteren Tieren sind vorwiegend jüngere Pferde bis zum Alter von 3 Jahren betroffen. Hengste weisen ebenso wie sehr schlanke Pferde ein erhöhtes Krankheitsrisiko auf. Pferde, die regelmäßig entwurmt und geimpft werden, sind seltener betroffen. Auch Tiere, die regelmäßig geritten oder gefahren werden, erkranken kaum.

Die überwiegende Anzahl der AM-Fälle betrifft Pferde, die 24 Stunden auf der Weide gehalten werden. Deutlich seltener erkranken Tiere, die weniger als 6 Stunden auf die Weide kommen.

Interessant ist, dass viele betroffene Weiden von Pferdehaltern oft als üppig bezeichnet werden, wogegen Fachleute sie als mager und abgefressen definieren. Das hängt nach Erfahrungen des Pferdegesundheitsdienstes (PGD) damit zusammen, dass die Geilstellen, welche von den Pferden unbedingt gemieden werden, einen langen und üppigen Wuchs aufweisen, wogegen die Gräser, die die Tiere bevorzugen, bis auf die Erde verbissen sind. Möglicherweise verändert sich das Gras auch in seinen Inhaltstoffen, wenn nach sonnigen und warmen Herbsttagen, dass Wetter kälter und nasser wird. Diese Fehleinschätzung führt auch dazu, dass den Pferden nur in seltenen Fällen zusätzliche Futtermittel angeboten werden, da sie ja „noch genug stehen haben“ und zudem „etwas abnehmen sollen“. Allerdings schützt die Zufütterung von Heu vom Boden nicht mit Sicherheit vor der Erkrankung. Meist liegen die betroffenen Koppeln auch in Hanglage, weisen feuchte Stellen auf und sind von Bäumen umgeben. Darüber hinaus sind die Weiden überwiegend unbehandelt und wenig gepflegt, die Krankheit tritt aber seltener auch auf gepflegten Flächen auf.


Krankheitsbild

Häufig werden die Pferde morgens tot auf der Koppel liegend vorgefunden. Das Krankheitsbild beginnt 12 - 48 Stunden nach Aufnahme des Giftes mit Kolikanzeichen, Muskelzittern, Schwitzen und Untertemperatur. Die Tiere zeigen einen schwankenden Gang, lassen den Kopf hängen und kommen zum Festliegen in Seitenlage. Auffällig ist, dass selbst Pferde in Seitenlage noch Nahrung aufnehmen wollen, aber meist auf Grund der zerstörten Muskulatur nicht mehr kauen und schlucken können. Typischerweise ist der Harn durch die Ausscheidung des Muskelfarbstoffes dunkelbraun bis schwarz gefärbt und bei der Laboranalyse ist insbesondere die Blutserumkonzentration der Kreatinkinase (CK) drastisch erhöht.

Der überwiegende Teil der an AM erkrankten Pferde überlebt nicht (ca. 75 %).

Bei der histologischen Untersuchung der verendeten Pferde findet man Anzeichen für eine massive Muskelzerstörung sowie eine erworbene Entgleisung des Fettstoffwechsels.


Ursachen

In neueren Untersuchungen konnte ein Abbauprodukt der toxischen Aminosäure Hypoglycin A, welche sich in den Samen sowie in den ersten Blättern der Sprösslinge des Bergahorns befindet, im Blut und im Urin von betroffenen Pferden auch in Deutschland nachgewiesen werden. Von dieser Aminosäure ist bekannt, dass sie der AM ähnliche Krankheitsbilder beim Menschen verursachen kann. In anderen heimischen Bergahornarten wie Spitz- und Feldahorn wurde nur wenig bis gar kein Hypoglycin A nachgewiesen.

Auch eine Mangelversorgung an Nährstoffen und insbesondere an muskelzellschützenden (antioxidativen) Substanzen, wie z.B. Selen, scheint eine nicht unerhebliche Rolle bei der Krankheitsentstehung zu spielen. Bei Untersuchungen des PGD wiesen fast alle betroffenen ebenso wie nicht betroffene Pferde auf derselben Weide z.T. erheblich erniedrigte Selenwerte im Blut auf. Zu beachten ist dabei, dass Weidepferde ohnehin im Herbst einen höheren Verbrauch an antioxidativen Substanzen (auch Vitamine B, C und E) haben, wodurch eine bereits marginale Versorgungslage noch verstärkt wird. Darüber hinaus enthält das Gras im Herbst weniger Eiweiße bzw. Aminosäuren, welche für den Muskelstoffwechsel wichtig sind.

Bei der Sektion verendeter Pferde war auffällig, dass diese häufig einen deutlichen Befall mit Endoparasiten zeigten.


Vorbeugemaßnahmen

Um das Risiko einer AM-Erkrankung zu minimieren, sollten die Pferde ab Anfang Oktober bis ca. Ende Mai nachts aufgestallt und tagsüber nicht länger als 6 Stunden auf die Weide verbracht werden. Günstig ist es, wenn die Tiere bei Reifbildung auf dem Gras erst gegen Mittag nach Abtrocknung des Grases auf die Koppel gelassen werden. Die Pferde fressen das reifbedeckte Gras nicht gerne und bevorzugen Stellen ohne Reifbildung, wie z.B. unter Bäumen. Dort fressen sie dann vermehrt auch Bergahornsamen. Darüber hinaus müssen die Tiere ein ausreichendes Angebot an Raufutter, je nach Ernährungszustand Kraftfutter sowie in jedem Falle Vitamin- und Mineralfutter erhalten. Das ist allerdings kein sicherer Schutz vor der Erkrankung, da scheinbar manche Pferde die Bergahornsamen bzw. – sprösslinge gerne fressen und andere nicht. Zudem könnte sich der Geschmack durch Frosteinwirkung so verändern, dass die Pflanzenteile attraktiver für die Tiere werden.

Betriebe, in denen die Pferde weiterhin Tag und Nacht auf der Koppel gehalten werden, sollten Weiden nutzen, die nicht von Bergahornbäumen umgeben sind. Bergahornbäume sind großzügig auszukoppeln, da die Samen über Wind bis zu 100 Meter verbreitet werden können.

Die beste Prophylaxe ist das Fernhalten der Pferde von Bergahornbäumen. Es sollte die Samenbildung der Bäume beobachtet werden. In sogenannten Mastjahren werden massig Samen gebildet und auch abgeworfen. Diese Jahre sind besonders gefährlich. Sie treten mittlerweile wahrscheinlich durch Klimaveränderungen bedingt regional unterschiedlich alle 2 – 3 Jahre auf.

Das Nährstoffangebot des Weidegrases muss objektiv eingeschätzt und durch Rau- und evtl. Kraftfutter ergänzt werden. Die Zufütterung sollte nicht vom Boden, sondern aus Raufen erfolgen, da die Heufüttterung vom Boden ebenfalls einen Risikofaktor darstellt.

Unbedingt ist darauf zu achten, insbesondere Jungtiere regelmäßig zu entwurmen und den Behandlungserfolg anhand von Kotproben zu überprüfen. Mehrere Parasitenarten sind schon resistent gegenüber einzelnen Wurmmitteln. Bei Bandwurmbefall muss ein spezieller Wirkstoff zum Einsatz kommen.

Pferden auf Dauerweide müssen Mineralleckmassen zur freien Aufnahme zur Verfügung stehen. Minerallecksteine reichen nicht aus. Sachsen und Thüringen sind Selenmangelgebiet und der Bedarf an diesem, für die Muskulatur und das Immunsystem immens wichtigem Spurenelement kann nur durch Zufütterung ausgeglichen werden. Auch andere zellschützende (antioxidative) Substanzen wie die Vitamine B und C sowie Eiweiße sollten ergänzt werden. In Einzelfällen kann der Tierarzt das Selen auch prophylaktisch injizieren.

Zur Gesunderhaltung der Pferde ist auch unbedingt auf die Weidepflege zu achten. So hat z.B. die Anwendung von Kalkstickstoff neben dem düngenden auch einen desinfizierenden Effekt auf die Weiden.

betroffene Weide Bergahornbäume mit sehr vielen Früchten

 


Fazit für die Praxis

Die AM ist eine Bedrohung für unsere Pferde mit meist fatalem Ausgang. Die Ursachen dieser Krankheit sind noch nicht abschließend aufgeklärt. Nach Einschätzung des PGD handelt es sich bei der AM um ein Krankheitsgeschehen, dass durch mehrere Faktoren beeinflusst wird, wobei der Bergahorn eine zentrale Rolle spielt. Der Pferdekörper nimmt wahrscheinlich verschiedene potentiell giftige Substanzen (z.B. Pflanzen-, Pilz-, Bakteriengifte) auf und ist auf Grund von Mängeln in der Nährstoffversorgung (Energie, Antioxidantien, Aminosäuren) sowie schwächenden Faktoren (z.B. Parasitenbefall, Fellwechsel) nicht in der Lage, diese Giftstoffe unschädlich zu machen. Unklar ist weiterhin, warum einige Pferde auf ein und derselben Weide erkranken und andere nicht. Möglicherweise spielen hier geschmackliche Vorlieben für die Bergahornsamen und individuelle Unempfindlichkeiten bzw. Erfahrungen maßgebende Rollen.

Durch die Einhaltung der oben genannten Vorbeugemaßnahmen ist es aber möglich, das Erkrankungsrisiko so weit wie möglich zu minimieren.


 Kontakt zum Pferdegesundheitsdienst 

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